Vor nur fünf Monaten wäre an dieser Szene überhaupt nichts Bemerkenswertes gewesen: Dolce & Gabbana zeigen ihre neueste Kollektion, während ein Trio den Italien-Klassiker "Volare" singt. Doch vor fünf Monaten war Corona für die meisten Menschen noch eine weit entfernte Geschichte irgendwo in China, kein Grund zur Sorge. Am Mittwoch, inmitten einer Pandemie, von der sich Italien nur schleppend erholt, war die Veranstaltung eine kleine Sensation. Nicht unbedingt der Mode wegen - passend zum Songtext gefärbt blau in blau ("Nel blu dipinto di blu"). Das Event war besonders, weil es eine von nur zwei Modenschauen der Mailänder Fashion Week war. Die andere kam von Etro.
Normalerweise sind diese Wochen vollgepackt mit Terminen im Stundentakt, zwischen denen Besucherinnen und Besucher hin und her hetzen. Doch auch die Modeindustrie muss ihr Geschäft neu denken: Reisewarnungen, Ansteckungsgefahr und der Rückzug ins Homeoffice vertragen sich nicht mit vierteljährlich aus aller Welt eingeflogenen Gästen, die sich erst abbusseln und danach enge Sitzreihen teilen. Wange an Wange und Schulter an Schulter, das war mal.
Die meisten Marken beschränken sich daher auf Videos oder verschieben ihre Präsentationen gleich ganz. In der Hoffnung auf eine bessere Zeit, von der niemand weiß, ob und wann sie kommt.
Vorab aufgenommene Modenschauen, gestreamte Events oder Werbeclips können den Zauber echter Begegnungen aber nicht ersetzen. Das ist spätestens klar, seitdem vorige Woche in Paris zuerst die Haute Couture und danach die Herrenkollektionen auf Video gezeigt werden mussten. Mailand versuchte es trotzdem mit einer Website: 40 digitale Präsentationen in vier Tagen, dazu ein Bereich für zehn internationale Marken und eine Plattform für den Nachwuchs. Was blieb der Camera Nazionale della Moda, Italiens Modeverband, auch anderes übrig? Nur die Absage.
Doch dafür ist die Mode zu wichtig für das Land, das mit am härtesten getroffen wurde von der Krise. Vergangenes Jahr erwirtschaftete Italiens Bekleidungsindustrie 67 Milliarden Euro Umsatz. Für 2020 rechnen Experten mit bis zu einem Drittel weniger. Damit die Verluste nicht noch größer ausfallen, brachte die italienische Außenhandelskammer nun neun Einkäufer nach Mailand – aus Frankreich, Großbritannien und Russland. Immerhin. Die reiche Kundschaft sowie die Influcencerinnen und Influencer aus China – inzwischen einer der wichtigsten Marktplätze für Luxusprodukte – waren nicht dabei.
"Wir wollten eine optimistische Nachricht verbreiten und zeigen, dass Italien wieder im Geschäft ist", sagten Domenico Dolce und Stefano Gabbana nach ihrer Show gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Als Kulisse diente den beiden Designern der Campus der privaten medizinischen Hochschule Humanitas. Deren Corona-Forschung unterstützen D&G bereits seit Februar finanziell - also lange bevor ihr Land rund 35.000 Tote zu beklagen hatte.
200 Gäste waren geladen, die meisten aus Italien. Normal sind um die 500 bis 1000. Gezeigt wurde eine Kollektion, die inspiriert ist von den Farben der Amalfiküste: 102 Kleidungsstücke in verschiedenen Blautönen und teilweise bedruckt mit Motiven neoklassizistischer Statuen oder den geometrischen Mustern aus Gio Pontis Parco dei Principi Hotel in Sorrento. Die Models trugen überschnittene Jacken mit unverarbeiteten Kanten, weite und kurze Hosen, Patchworkdenim und Tuniken. Die Schnitte sind luftig und leger. Eine klassische Sommerkollektion.
Masken gab es nur für Zuschauerinnen und Zuschauer sowie hinter der Bühne, nicht als Teil der Kollektion. Auch Domenico Dolce und Stefano Gabbana trugen Mund-Nasen-Schutz zu ihrem Schlussapplaus. Alles andere wäre PR-technisch ein Desaster gewesen – und davon hatten die beiden in der jüngeren Vergangenheit mehr als genug auszusitzen.
Im September soll alles beim Alten sein
Wer keinen der Sitzplätze bei Dolce & Gabbana angeboten bekommen hatte, hätte sich theoretisch die Show auf einer der großen Videoleinwände in der Stadt ansehen können. Mit diesem Konzept versucht Berlin seit einigen Jahren seine Bevölkerung für den Modezirkus zu interessieren. In Mailand klappte das genauso wenig wie in der deutschen Hauptstadt. Deswegen hoffen sie hier auf die noch wichtigeren Vorstellungen der Damenkollektionen im September. Dann soll wieder alles fast beim Alten sein, zumindest weitestgehend. So zumindest die Hoffnung.
"Das Digitale kann die Liveshows nicht ersetzen", sagte Carlo Capasa der Nachrichtenagentur AP. "Die Erfahrung", so der Präsident des italienischen Modeverbands weiter, "hat den Designern klargemacht, dass der nächste Termin im September so live wie möglich sein muss". Kleiner zwar, mit weniger Leuten und Abstand, aber eben mit richtigen Shows.
Bleibt abzuwarten, ob der Plan gelingt. Zufälligerweise war eine Präsentation von Dolce & Gabbana vor fünf Monaten die letzte reguläre Modenschau in Italien, nachdem dort die erste Corona-Infektion gemeldet worden war. Danach fragten sich die angereisten Modeleute nicht mehr, wer was anhatte und was die neuesten Trends werden, sondern: "Was, wenn sich Menschen hier infizieren und nächste Woche bei der Pariser Modewoche das Coronavirus verbreiten?" Der Rest ist Geschichte.
July 18, 2020 at 11:21PM
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Fashion Week zu Corona-Zeiten: Mailand trägt Maske - DER SPIEGEL
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Dolce & Gabbana
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