Mailand. Stella Jean ist die einzige schwarze Designerin, die Italiens einflussreichem Modeverband Camera Nazionale della Moda Italiana angehört. Nun ruft sie ihre Kolleginnen und Kollegen zu einer "längst überfälligen kulturellen Reform" auf - unter dem Slogan: Zählen schwarze Leben in Italien?
"Schwarze Leben zählen" ("Black Lives Matter") ist das Motto einer US-Protestbewegung gegen Diskriminierung und Polizeibrutalität, denen Schwarze ausgesetzt sind. Jean findet, dass auch Italiens Modehäuser mehr ethnische Integration und Sensibilität praktizieren sollten. Zumindest will sie einen Dialog darüber - aber leicht scheint das nicht zu werden.
Jeans: Initiativen liegen “in den Händen der Regierung”
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Die haitianisch-italienische Designerin, die in Rom geboren wurde und aufwuchs, startete ihre Kampagne in diesem Sommer, zusammen mit dem in Mailand ansässigen US-Designer Edward Buchanan. In einem Brief erinnerten sie den einflussreichen Modeverband und die mächtigen Modehäuser wie Prada, Ferragamo und Zegna, die ihn steuern, an ihr Versprechen in sozialen Medien, die Black-Lives-Matter-Bewegung zu unterstützen. Dem müssten nun konkrete, transparente Schritte hin zu einer größeren ethnischen Vielfalt folgen.
Als Antwort schrieb Verbandspräsident Carlo Capasa zurück, dass es nicht im Verantwortungsbereich des Gremiums liege, ethnische Ungleichheit in Italiens Modeindustrie anzugehen - trotz der Tatsache, dass der Verband im vergangenen Dezember ein Manifest veröffentlicht hat, in dem umfassende Reformen in Aussicht gestellt wurden. Capasas Schreiben zufolge liegen solche Initiativen "in den Händen des Parlaments, der Regierung oder anderer Einrichtungen".
Modekammer habe niemals von Rassismus in Italien gehört
Als Reaktion auf diese Antwort hat sich Jean entschlossen, sich erst dann wieder an den - stets von der Camera Nazionale organisierten - offiziellen Mailänder Modewochen zu beteiligen, wenn "sie zeigen, dass sie sich des Problems bewusst sind".
"Wenn du mit ihnen sprichst, haben sie keine schlechten Absichten. Ich kenne sie", sagte die Modeschöpferin der Nachrichtenagentur AP. "Aber sie sagen so etwas wie "Wovon redest du, Stella? Wir haben niemals von Rassismus in Italien gehört. Es ist keine italienische Geschichte, es dreht sich um die USA, Großbritannien, andere Länder. Nicht Italien. Meine Antwort ist: "Warum sieht man all diese Leute auf den Plätzen vom Norden bis zum Süden des Landes für Black Lives Matter, diese ganze Generation unsichtbarer neuer Italiener?"".
Als rassistisch kritisierte Fehltritte lieferten Modehäusern negative Schlagzeilen
Jean spielte damit offenbar auf Demonstrationen auch in Italien nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd bei seiner Festnahme durch die Polizei im Mai in den USA an.
Als rassistisch kritisierte Fehltritte haben italienischen Modehäuser wiederholt negative Schlagzeilen beschert. So geriet Gucci wegen eines Pullis mit maskenartigem Rollkragen in die Kritik, der auf Mundhöhe einen von dicken roten Lippen umrandeten Ausschnitt aufwies, Prada wegen Affenfiguren mit übertriebenen Lippen als Schlüssel-und Handtaschenanhänger und Dolce & Gabbana wegen Videos, die von vielen als Beleidigung von Asiaten verstanden wurden. Und erst vor Kurzem entschuldigte sich Marni, ein anderes größeres Modehaus, für eine problematische Produktwerbung, die schwarze Models mit Accessoires wie einer Kette an den Füßen oder einem Grashut zeigten.
Forderung nach offene Türen für Schwarze in Führungskräfte in Modebranche
Jean und Buchanan sagen, dass das Problem über kulturell unsensible Designs hinausreiche. Aber solche Fauxpas würfen ein Schlaglicht auf den Mangel an Vielfalt in italienischen Modehäusern und auf "allgegenwärtigen Rassismus und Vorurteile" in der Industrie trotz "erheblicher finanzieller Mittel, die für Sensibilitätstraining bereitgestellt worden sind".
Die beiden Designer wollen offene Türen für schwarze Italienerinnen und Italiener, die gern in der Modebranche arbeiten möchten, aber sich dort nicht repräsentiert und keinen Zugang sehen. Sie fordern außerdem eine Liste schwarzer Mitarbeiter in führenden Positionen in den Modehäusern - nicht Models oder Beschäftigte im Marketing, die, so kritisieren sie, "traurigerweise mehr als oft zur Schau gestellt werden". Es gehe darum, Bewerbungsunterlagen in dem Wissen verschicken zu können, dass sie nicht abgelegt würden, weil sie von einem schwarzen Designer kämen, sagt Buchanan.
Schwarze Modeschöpfer: Sind oft einzige farbige Person an am Arbeitsplatz
In ihrem Anruf sprachen die Modeschöpfer für Dutzende andere, deren Namen zwar nicht genannt wurden, aber schwarze Designer wie Michelle Ngonmo einschließen. Sie hob in Eigenregie eine Afro-Modewoche Mailand aus der Taufe, nachdem die Modeindustrie sie nicht unterstützt hatte. Viele andere zögerten, sich öffentlich zu beschweren, weil sie "ein professionelles Lynchen" fürchteten, sagt Jean. Eine häufige Klage schwarzer Modeschöpfer in Italien ist, dass sie oft die einzige farbige Person an ihrem Arbeitsplatz und ihre Chancen wegen ihrer Hautfarbe begrenzt sind.
Auch Buchanan, Designer einer eigenen Luxus-Strickwarenlinie, kann ein Lied davon singen. Er begann seine Karriere in Italien vor mehr als 25 Jahren und hat mit Calvin Klein und Donna Karan zusammengearbeitet. Wenn er jetzt als Berater angeheuert wird, geht es ausschließlich um Straßenkleidung oder Urban-Style-Marken, städtisch anmutende Kleidung für den Alltagsgebrauch - das trotz seiner Erfahrungen in Sachen Luxus-Mode. Andere weiße Kollegen mit ähnlichen Errungenschaften sind dagegen heute Kreativdirektoren bei größeren Marken.
Capasa will Langzeit-Programme zur Einschließung aller Minderheiten
Er sei absolut glücklich, was seine Karriere betreffe, sagt Buchanan. "Aber ich kann ehrlich sagen, dass es wegen meiner Hautfarbe manche Chance nicht gegeben hat."
Capasa zufolge will der Modeverband Daten über Vielfalt in Modehäusern vorlegen. Auch werde es im Dezember einen Bericht über Fortschritte auf der Basis des Manifests geben, sagte er der AP. Die globalen Black-Lives-Matter-Proteste hätten der Umsetzung der Versprechen mehr Dringlichkeit verliehen, aber "tiefgehende kulturelle Änderungen erfordern Zeit". Es seien Langzeit-Programme nötig, "um alle Minderheiten einzuschließen".
August 19, 2020 at 11:39AM
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Schwarze Designerin will Umdenken in Italiens Modehäusern - RND
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