Natürlich gab es etwas zu essen. Paccheri al pomodoro, Büffelmozzarella und Vitello tonnato, Parmigiano Reggiano, den man brockenweise aus dem Käselaib löffeln konnte. Kirschen und Feigen kullerten fast vom Tisch, und Mandeln umrahmten Schleifen aus Parmaschinken. Feinstes italienisches Essen, wie es das Modehaus Dolce & Gabbana gern zu seinen Events serviert.
Nur trafen sich die Gäste dieses Mal nicht auf Capri oder in Agrigent, sondern in der garantiert keimfreien Kantine der medizinischen Fakultät Humanitas außerhalb von Mailand. Man feierte dieses Mal nicht nur die Mode, die vor dem Essen auf dem Campus gezeigt worden war, sondern auch die Kooperation von Dolce & Gabbana mit der Universität: Das Label sponsort seit zwei Jahren Stipendien und Forschungsprojekte und begann im Februar mit der Förderung von Studien zu Covid-19.
Es war ein surrealer Moment auf dieser besonderen Mailänder Herren-Modewoche, die hauptsächlich im virtuellen Raum stattfand, aber auch zwei analoge Veranstaltungen auf den Kalender setzte: Modenschauen der Marken Etro und eben Dolce & Gabbana, die ersten Shows mit physisch anwesenden Gästen nach dem Lockdown. Für manche Kritiker ist es für solche Events noch viel zu früh. Für andere sind sie erste und wichtige Versuche des Umgangs mit einer neuen Realität, in der Bussi-Bussi, vollbesetzte Zuschauerbänke und Backstage-Gedrängel erst mal nicht mehr möglich sind und in der man den Zauber der sinnlichen Erfahrung von Mode trotzdem am Leben erhalten will.
Das ist umso wichtiger in der stolzen Luxusstadt Mailand, wo es einem beim Anblick der leeren Via Monte Napoleone schwer ums Herz wird. Wer draußen ist, trägt Maske, in der Dior-Boutique wird eintretenden Kunden die Körpertemperatur gemessen, und in jedem Kiosk steht Desinfektionsmittel auf dem Tresen. Vor dem Duomo versammeln sich mehr Tauben als Menschen, dafür stehen sie vor „Luini“ Schlange, um sich einen „Panzerotto“ zu kaufen, eine mit Mozzarella gefüllte Teigtasche.
Ein Zeichen von Normalität in einer Stadt, deren Einwohner sich schaudernd an die täglichen Lautsprecherdurchsagen erinnern, die wochenlang dazu mahnten, zu Hause zu bleiben. Wer kann, flüchtet nun ans Meer oder in die Berge. „Die Stadt ist total leer. Die Kinder haben Ferien, und viele Eltern können durch das Homeoffice von überall arbeiten“, sagt Carlo Capasa, der Vorsitzende des Modeverbandes Camera Nazionale della Moda Italiana (CNMI).
Die Pariser Modehäuser haben in der Vorwoche nur digitale Präsentationen veranstaltet, aber die Camera Moda ist vorangeprescht mit einer Fashion Week, die analoge Events und virtuelle Präsentationen vereint – vielleicht aus Verzweiflung, vielleicht aus Trotz oder einfach wegen der „positiven Energie“, die es laut Capasa jetzt braucht.
Sogar internationales Publikum wurde eingeflogen. Um die 15 Einkäufer und Journalisten seien gekommen – ein Witz im Vergleich zu den Tausenden Redakteuren und Kreativen, die sonst aus der ganzen Welt anreisen. „Die Branche braucht Momente, in denen sie sich treffen und austauschen kann. Eine rein digitale Fashion Week ergibt für den Endkunden Sinn, aber nicht für die Menschen, die in der Mode arbeiten“, sagt Capasa.
Dieser Meinung sind auch Stefano Gabbana und Domenico Dolce. Vor der Schau empfingen die beiden Designer zum Gruppeninterview in ihrem barocken Büro, Domenico Dolce reichte die Hand, und so manche PR-Dame konnte sich das Küsschen nicht verkneifen. Die Stimmung war gelöst, aber auch müde, man fühlte sich ein wenig wie unter Überlebenden, die aus ihren Höhlen gekrochen sind und sich zaghaft, aber neugierig ans soziale Miteinander herantasten, die sich die Maske aufs Kinn ziehen, um ins Cornetto zu beißen, und sich kichernd mit Ellenbogenstoß begrüßen.
„Wir lieben den körperlichen Kontakt, so sind wir einfach. Die echte Modenschau ist un-er-setz-lich!“, sagte Stefano Gabbana. Und Domenico Dolce beschwörte mal wieder den Dolce-Vita-Kitsch, für den Fans das Label so lieben: Das wäre ja, als müsste man Pasta al pomodoro digital ersetzen, wie solle das denn gehen? Die neue Modenschau sei ihre „aberhundertste Liebeserklärung“ an Italien, inspiriert von Giò Ponti und dem von ihm gestalteten Hotel „Parco dei Principi“ in Sorrent. 104 Männerlooks haben sie entworfen, da blieb nicht viel Zeit für Selbstmitleid in den vergangenen Monaten. „Das hier ist eine Katastrophe, keine Frage. Aber wir wollen nicht rumheulen, wir müssen weitermachen“, sagte Dolce.
Alle tragen Maske
Wenige Stunden nach dem Gespräch fanden sich 260 Gäste an der Humanitas-Universität ein. Die Schau fand draußen statt, jedem wurde die Körpertemperatur gemessen, alle trugen Maske. Auf den Bänken wiesen Aufkleber abstandsgerechte Sitzplätze aus. Die Models, gekleidet in dekonstruierte Patchwork-Anzüge, Kaftane und weite Hemden mit Ponti-eskem blauem Mosaikmuster, spazierten über den Laufsteg, in der Mitte stand eine Bühne, auf der das italienische Opernpoptrio Il Volo zur musikalischen Untermalung Arien singt.
Nach diesem Spektakel drängten sich die Gäste gut gelaunt und ohne Abstand zu halten in die bereits genannte Kantine, Richtung Wein und Mozzarella. Modenschauen, das bedeutet eben auch „Socializing“ und Party, und auf die übliche Gastfreundlichkeit zu verzichten, fällt den Italienern sichtlich schwer.
Angemessener und trotzdem herzlich fühlte sich die viel kleinere und unaufgeregte Show von Etro im Garten des Hotel „Four Seasons“ an, die eher an einen italienischen Lokaltermin erinnerte. Keine Einlassschlangen, keine herumeilenden PR-Agenten. Designerin Veronica Etro spazierte vor der Schau mit Paisley-Maske durch den Garten und begrüßte ihre Gäste. Auch Influencer waren dabei. Wie Caro Daur, die für das obligatorische Fotoshooting ihre Maske abnahm.
Es ist ein kühner Balanceakt, den die Mailänder da gewagt haben. Der Videoteil mag für technischen Fortschritt stehen, inhaltlich wirkte er oft festgefahren und zu selbstbezogen. Da sah man Ausschnitte aus vergangenen Modenschauen und schwarz-weiße Archivfotos (Salvatore Ferragamo), Atelierszenen und Schuhskizzen (Tod’s), eine Art digitalen italienischen Reisekatalog (Alberta Ferretti). Immerhin hat Prada über den Marketingfilm hinausgedacht und mit „The Show that never happened“ eine Videoinstallation aus Filmen von Kreativen wie Juergen Teller und Willy Vanderperre zusammengeschnitten.
Noch besser war die Kollektion: Stücke, die ins Museum gehören, so zeitlos sind sie. Ultraschmale Anzüge und Kostüme zu Leggings, weibliche Models in taillierten Trägerkleidern und schwarzen Glockenröcken zu weißen Blusen, Männer in minimalistischen Nylonmänteln. Versace feierte die eigenen Wurzeln als Liebling der Hip-Hop-Szene und bewies gleichzeitig Gespür für den Zeitgeist, indem es einen Auftritt des britischen Rappers AJ Tracey filmte.
Klar wurde auch: Jetzt ist die beste Zeit für Experimente, jeder kann erst mal machen, was er will, alles ist besser als Stillstand. Ermenegildo Zegnas Antwort auf die neue Zeit lautet „Phygital“, also eine Mischung aus Mensch und Technik. Inszeniert vor einer Woche, ein Film vom Laufsteg, der in diesem Fall über verschiedene Strecken auf dem Werksgelände am Headquarter des Labels in Trivero nahe Biella führte. Über den Rasen, auf dem ganz früher schon Kollektionen gezeigt wurden, durch die langen Gänge im Lager. 3,3 Kilometer insgesamt, die der Zuschauer virtuell mitgehen konnte.
Durchhaltevermögen brauchte man bei Gucci: Alessandro Micheles Performance bestand aus einem zwölfstündigen Live-Stream, der die Entstehung einer Gucci-Werbekampagne zeigte. Mehrere Kameras filmten das Geschehen am Set, Assistenten, Fotografen, Models, jeder Akteur bei der Arbeit, aus mehreren Perspektiven. Es passierte nichts, und doch sehr viel: Der Zuschauer wurde Zeuge eines intimen Prozesses hinter den schönen Bildern, der ihm sonst verborgen bleibt.
Junge Designer zeigten mehr Mut
Auch die junge Designergarde in Mailand fühlte sich mit dem Medium sichtlich wohler und realisierte oft mutigere und interessantere Filme als das Establishment. Bei Magliano standen Models auf einem Drehpodest, im Hintergrund lief schiefe Spieluhrenmusik, bei M1992 wurden schnell wechselnde Filmszenen auf Hemden projiziert, eine Anspielung auf die neue Zoom-Gesellschaft.
Bildschirme dominieren fast jeden Bereich der Modewelt. Wer sich in den vergangenen Wochen mit Designern unterhielt, merkte, dass diese nicht auch noch den letzten Rest an Haptik und Sinnlichkeit aufgeben wollen. „In der Mode geht es um Berührung und Gefühl“, sagte zum Beispiel der Chefdesigner des spanischen Hauses Loewe, Jonathan Anderson, in einer Zoom-Konferenz. „Ich will nicht in einer virtuellen Realität leben.“ In Mailand hat man wenigstens einen Schritt aus ihr heraus getan.
Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.
July 19, 2020 at 10:41AM
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Mailander Modewoche – So waren die ersten richtigen Modenschauen nach dem Lockdown - DIE WELT
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Dolce & Gabbana
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