Der Ort war gut gewählt. Domenico Dolce und Stefano Gabbana saßen im Schatten des Kreuzganges vom Kloster Santa Maria Novella in Florenz, die Gäste im Hygieneabstand in Kreuzform platziert seitlich und vor ihnen. Die Stimmung war beseelt, hatten die Italiener doch für drei Tage zu einem Modeevent vor echtem Publikum geladen.
Zudem trugen sie hier voller Inbrunst und in ergänzenden Rollen ihr Glaubensbekenntnis zu Italien vor: „Wir lieben das Handwerk sehr, für uns sind Handwerker die wahren Künstler. Die Globalisierung und die Kommerzialisierung haben in unseren Augen diese Kunst überschattet. Silberschmiede, Glaser, Mosaikkünstler, Korbmacher, vom einfachsten bis hin zum erfolgreichsten, wir wollten dieses Gemeingut ins Licht rücken. Italien basiert auf Handwerk, nicht nur die Stickerei oder die Produktion von Leder, sondern auch die Produktion von Brot, die Gastronomie. In allen diesen Jahren hat man uns beigebracht, dass alles für jeden möglich sein soll, alles soll angepasst werden. Dieser Meinung sind wir nicht, wir denken, dass Individualität ausschlaggebend ist. Jeder hat seine eigene ‚Hand‘, sein Talent, sein Markenzeichen. Wir müssen uns nicht anpassen, zum Beispiel, um besser zu gefallen. Wir Italiener sind anders als andere Nationen, wir erschaffen Schönheit, wie schon unsere Vorfahren.“
Im Publikum saß auch der Mann, der für diesen Auftritt gesorgt hatte: Raffaele Napoleone, seit 1989 CEO der Pitti Imagine, der gemeinnützigen Vereinigung zur Förderung italienischer Mode und Ausrichter der international wichtigsten Messen für Männer, für Kinder und für Stoffe in Florenz. Eigentlich hatten sie geplant, dass Dolce & Gabbana als Ehrengäste bei der Pitti Uomo im Juni eine Kollektion zeigen, das fiel ins Corona-Loch. Die Designer wiederum mussten eine große Ausstellung in Mailand verschieben und so beschlossen sie, nun im September kurz vor der digitalen Pitti Uomo in Florenz die große Kunst - Alta Moda, Alta Sartoria und Alta Gioielleria - zu präsentieren.
Vom Dach des Pitti-Gebäudes in der Altstadt hat man eine fabelhafte Sicht über Stadt, Land und Berge. Früher, als es noch Sitz einer Bank war, standen hier lediglich Lüftungsgeräte, Napoleone ließ die Terrasse bauen. Für Cocktails, für rauchende Mitarbeiter, und weil Weitblick nie schaden kann.
ICONIST: Signore Napoleone, Sie haben bis zum letzten Moment versucht, eine richtige Messe statt einer digitalen zu veranstalten. Warum haben sie aufgegeben?
Raffaele Napoleone: Wir hatten auch nicht wenige Aussteller – ungefähr 350 – jedoch gaben uns die Einkäufer die Rückmeldung, es sei ein zu großer Aufwand zu kommen. Sie wissen ja auch, welche Einbußen die Modebranche erlitten hat.
ICONIST: Aber ist es nicht ganz gesund, wenn sich die Einstellung, jedes Jahr mehr zu produzieren, mehr Gewinn zu machen, nun offenbar ändern muss?
Napoleone: Da bin ich anderer Meinung, denn man muss das Wachstum vieler Ökonomien im Blick haben. Länder wie Vietnam, Indochina, die Philippinen liegen in dieser Beziehung Jahre zurück.
ICONIST: Aber Europa ist übersättigt, oder?
Napoleone: Und trotzdem wäre ich vorsichtig, in Italien ist in den letzten sechs Jahren der Konsum zwischen 3,5 und fünf Prozent bei der Damen- sowie der Herrenbekleidung gefallen, auch bei Kindern. Nur Babymode war stark, auch dank der Migranten.
ICONIST: Und dank der Kinderliebe hier?
Napoleone: Nun, der Geburtendurchschnitt liegt nur bei, Pardon für die schräge Zahl, 1,7 Prozent. Aber dennoch spielt die Familie eine große Rolle. Wobei die Familienbetriebe eine große Stärke und gleichzeitig eine große Schwäche sind.
ICONIST: Welche Schwäche?
Napoleone: Die, die zugleich die Stärke ist, nämlich dass die Art zu reagieren, sehr stark mit der Familie in Verbindung steht. Sie ist wie der Schirm, unter den man sich jederzeit stellen kann. Und wenn ein Elternteil stirbt, werden 50 Prozent des Erbes gleich auf die Kinder verteilt, das hält zusammen. Eine typische Anekdote: Das erste Dekret, das unser Ministerpräsident am Anfang der Corona-Lockerungen verabschiedete, war, dass man ohne Maske die Mitglieder der eigenen Familie bis zum sechsten Verwandtschaftsgrad treffen darf. Ich weiß nicht einmal, wer die in meiner Familie sind. Da die Familie das Fundament bildet, wird das Land auch neu starten können.
ICONIST: Und die Stärke?
Napoleone: Es gibt 550.000 Angestellte in der Modebranche und 73.000 registriere Firmen. Das bedeutet im Durchschnitt 7,5 Angestellte. Manche haben zwei und andere 100, aber ich meine: es ist viel einfacher, als kleine Firma flexibel zu reagieren.
ICONIST: Werden nun diese kleinen Betriebe eine Renaissance erleben?
Napoleone: Nehmen wir Herrn Pinault als Beispiel. Ihm gehören einige italienische Marken, wie auch Gucci, er ist in Venedig kulturell aktiv und dafür wird er sehr respektiert. Er ist nie auf die Idee gekommen, das Savoir-faire von hier woandershin zu verlegen – das klappt auch nicht. Der Grund, warum wir in Italien nicht so große Unternehmen haben, ist, dass das große Geld, um solche Konzerne wie in Frankreich aufzubauen, nicht durch die Mode kam, sondern durch Immobilien und Vertrieb. Hierzulande ist keine der Modemarken – die alle, zumindest ursprünglich, Familienbetriebe waren – durch eine andere Branche zum Modebusiness gekommen, außer vielleicht die Agnelli-Familie, der die Rinascente-Kaufhäuser gehörten, aber die haben keinen Cent in Mode investiert. Wir sind klein, mit einem großen Wissen, was nicht exportierbar ist.
ICONIST: Was ist mit China?
Napoleone: Kennen Sie eine chinesische Modemarke, die weltweit Erfolg hat? Bei Labelhood, der einzigen Organisation in Shanghai mit westlicher Denkweise, sagen sie, der Weg wäre noch lang, denn die sehr guten und klugen Designer möchten nicht in China bleiben.
ICONIST: Sie möchten beides haben, einen Fuß in China und einen im Westen.
Napoleone: Anderes Beispiel: Wie viele amerikanische Brands sind weltweit erfolgreich über, sagen wir mal 50 Jahre? Außer vielleicht Ralph Lauren. Donna Karan war anfangs ein Traum. Aber die meisten haben es nicht geschafft. Warum? Weil sie einen eigenen Markt von 350 Millionen haben, der selbstgefällig ist und das Gleiche wird mit China in der Zukunft passieren. Was ist mit Caruso, seit die Fosun-Gruppe eingestiegen ist? Sie hatten Großes vor, aber man hört nichts mehr.
ICONIST: Für eine Zeit dachte man, dass Wissen verloren geht, weil die kleinen Betriebe mit der billigen Konkurrenz aus China nicht mithalten können.
Napoleone: Deswegen ist das, was Dolce & Gabbana jetzt gemacht und gezeigt haben, toll. Es gibt viele junge Leute, die sich für die handwerklichen Berufe interessieren. Und meiner Meinung nach gibt es wenige Firmen, die echten Luxus produzieren: die Marken in den Duty-free-Shops zum Beispiel, ist das Luxus? Und etwas, was dir gefällt, muss nicht unbedingt 3000 Euro kosten.
ICONIST: Werden viele Marken schließen müssen in der nächsten Zeit?
Napoleone: Leider ja. Die Männermode wird leiden, aber gleichzeitig bleibt sie stabil. Die Damenmode springt viel mehr: ein paar gute Kollektionen und dann geht’s wieder bergab.
ICONIST: Kann die Mode in Italien die Wirtschaft retten?
Napoleone: Nicht allein. Zwölf Prozent des Umsatzes des Landes macht der Tourismus, Mode liegt bei neun, zehn Prozent. Im Allgemeinen bin ich sehr zuversichtlich, was mein Land betrifft, aber ich habe auch in Europa Vertrauen. Die Zukunft des Marktes liegt hier, nicht in China. Ich kenne die Exportzahlen nach Deutschland, Frankreich, in die Schweiz. Damit verglichen, liegen China, Hongkong und Macau dahinter.
ICONIST: Was lehrt die Krise?
Napoleone: Wir müssen neu fokussieren. Es ist wie mit meiner Triumph Bonneville, mit der ich gerne durch die Hügel fahre, und manchmal muss man hier und da etwas justieren. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass auf große Krisen immer eine Reaktion folgt und Mode ist eine der kreativsten Industrien, die kann alles verändern.
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September 12, 2020 at 01:17PM
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Herrenmode nach Corona: Wie wird die Branche die Krise verkraften? - DIE WELT
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